Mittwoch, 10. November 2010

Parteiendemokratie

Seit ein, zwei Jahren beschäftige ich mich ungewöhnlich intensiv mit Politik. Ich hatte zwar schon immer ein Interesse daran, aber mehr hobbyweise. Ich habe zur Kenntnis genommen was da so passiert, aber ich fand es nie besonders wichtig.

Keine Ahnung was sich geändert hat. Vielleicht waren es Projekte wie Stuttgart 21, vielleicht war es die letzte Bundestagswahl. Vielleicht war es das Kantinenessen was mir vor Augen geführt hat, dass das Leben eben nicht nur aus Geld verdienen und Ausgeben besteht – dass es bestimmte Dinge im Leben gibt die man mit Geld eben nicht beeinflussen kann, sondern als Gesellschaft als Ganzes. Deshalb habe ich mich vor einigen Monaten entschlossen, den Grünen beizutreten.

Ich habe letzte Woche im Forum eine ziemlich hitzige Diskussion mit einigen Schweizern über das Für und Wider direkter Demokratie geführt. Ich hatte da eine dieser Eingebungen, die ich versuchen will hier zusammenzufassen:

Wahlen sind nicht dazu da, Entscheidungen zu treffen. Ein Entscheidungsprozess lässt sich nicht einfach auf “Ja” oder “Nein” runterdestillieren. Die fachliche und gesellschaftliche Diskussion muss vorher passiert sein. Wahlen dienen nicht dazu, Entscheidungen zu treffen, sondern bereits gefällte Entscheidungen zu legitimieren. Es ist nicht mehr als eine Rückversicherung, dass die Mehrheit der Menschen immer noch die Politik wahrnimmt.

Die wirklichen Detailfragen dagegen, die beginnen auf der Straße, und wachsen in den Parteien. In Deutschland sind wir eine Parteiendemokratie: bevor eine Partei einen Kanzlerkandidaten stellt, musste der sich in jahrelangen Kämpfen genügend Rückhalt innerhalb der eigenen Partei sichern, um so hoch zu kommen. Das funktioniert nur, wenn in der Partei genügend Menschen existieren die der selben Meinung sind.

Wenn wir den Politikern Führungsschwäche und fehlende Volksnähe vorwerfen, dann liegt das vor allem daran dass die klassischen Parteien am Zerbrechen sind. Die Identifikation fehlt, immer mehr Menschen verzichten auf ihr Parteibuch. So wie eine kaputte Firma keine Spitzenkräfte anzieht, bleiben die wirklich guten Fachkräfte auch heute der Politik fern. Ein Teufelskreis, der so lange nach unten zeigt bis sich die Parteibasis stabilisiert.

Das ist ein gefährlicher Trend – viel tiefgreifender als die täglichen politischen Plänkeleien. Es werden Jahrzehnte vergehen, bis wir in Deutschland diese Basis, diesen gesamtgesellschaftlichen Konsens wieder haben.

Samstag, 16. Oktober 2010

Sieg der Unvernunft

Für folgendes Experiment braucht man vier Zutaten: eine schwarze Katze, Schokolade, eine Flasche Wein und eine gute Serie auf DVD (in diesem Fall: Friday Night Lights).

Es wird ja immer gepredigt, dass 90% unserer Kommunikation non-verbal ist… aber so wirklich verstehen tut man das wohl erst unter Alkoholeinfluss. Handlungsstränge im Fernsehen sind plötzlich nicht mehr Worte, sondern einfach nur noch Gefühle: Eifersucht, Angst, Wut, Verzweiflung… nach einer Weile kann ich nicht mal mehr sagen, in welcher Tonspur ich mir gerade das alles anschaue.

Auch bei meinem derzeitigen Besucher  - einem schwarzen Kater – wird mir das so langsam irgendwie klar. Irgendwie versteht man sich… man gehört zwar völlig unterschiedlichen Spezies an, und hat eigentlich keinerlei gemeinsame Kommunikationsmittel… aber wenn es um das essentielle geht (Einsamkeit, Hunger, Neugier…), da versteht man sich irgendwo.

Was ich damit sagen will: wir ignorieren gerne, wie essentiell Gefühle für den Alltag sind. Dass es eben keine Beziehung ohne Lust und Liebe gäbe, dass es keinen beruflichen Fortschritt ohne Ehrgeiz und Neugier gibt, dass es kein harmonisches Zusammenleben ohne Empathie und Moral gibt.

Es gibt wenig heute, wo es gesellschaftlich akzeptiert ist, sich emotional auszudrücken. Früher war dafür vor allem die Religion da, heute ist es vorwiegend der Alkohol, der einem eine enthemmte Gefühlswelt erlaubt. Irgendwo hat sich die Vorstellung durchgesetzt, dass wir rationale Wesen sind – was für ein fataler Irrtum!

Im Endeffekt müssen wir uns an die Vorstellung gewöhnen, dass kein Mensch mit Argumenten zu überzeugen ist, sondern einzig und allein mit Gefühlen.

Mit anderen Worten:

Wenn Du ein Schiff bauen willst
dann trommle nicht Männer zusammen,
um Holz zu beschaffen und Arbeit einzuteilen,
sondern lehre die Männer die Sehnsucht
nach dem weiten endlosen Meer.
Antoine de Saint-Exupéry (1900-1944)

Sonntag, 26. September 2010

Die letzten Königreiche

Ich habe vor kurzem ein Buch gelesen namens “The Seven Day Weekend” von Ricardo Semler. Darin geht es vor allem viel um Personalführung, und warum mehr Freiheit für den Mitarbeiter sich auch für die Firma auszahlt… am spannendsten fand ich aber, wie dort Entscheidungen getroffen werden: nämlich ganz demokratisch. Das fängt schon damit an, dass Mitarbeiter ihren eigenen Chef per Abstimmung wählen, und regelmäßig beurteilen.

Why do we demand and go to war for democracy as nations, yet accept with docility that no one has the right to choose their own boss? (Ricardo Semler)

Mag natürlich sein, dass einiges in dem Buch übertrieben ist. Und selbst wenn nicht, dürften diese Grundsätze nur für sehr spezielle Firmen überhaupt machbar sein. Trotzdem: das Buch hat mich sehr zum Nachdenken angeregt. Eigentlich geht es dort mehr als nur um das Berufsleben – es geht darum, wozu Demokratie eigentlich da ist.

Es geht darum, Menschen zum Denken zu animieren. Wenn jeder sagt was er denkt, wird da regelmäßig viel Mist herauskommen, und in den wenigsten Fällen wird man zu einer Entscheidung kommen. Demokratien haben den Ruf, träge zu sein.

Aber was ist die Alternative? Einer sagt was gemacht wird, und die Untergebenen nicken und gehorchen. So kann man Entscheidungen schnell und unkompliziert umsetzen, aber zu welchem Preis? Unbequeme Meinungen enthalten auch immer ein Körnchen Wahrheit, und 1000 Menschen wissen gemeinsam einfach mehr als nur eine Hand voll – ganz besonders dann, wenn sie aus sehr unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten stammen.

Genau so funktionieren heute große Firmen oder Institute: Es gibt einen Geschäftsführer (der “König”), den Vorstand (seine “Grafen”), und darunter in absteigender Folge die Barone, Bürger und letztendlich das Fußvolk. Es gibt Firmen mit flachen Hierarchien, aber keine (zumindest mir bekannte) Geschäftsleitung versteht sich selbst als Repräsentation aller Mitarbeiter, sondern eben als dessen Führung. So gesehen sind die heutigen Großkonzerne die letzten großen Königreiche in Deutschland.

Das ist per se erstmal noch nicht schlecht. Das Problem ist, dass monolithische Strukturen dazu neigen, sich in Details zu verzetteln – weil die Spitze im Endeffekt alle Entscheidungen treffen muss. Und sie neigt dazu, um jeden Preis entscheiden und verändern zu müssen, selbst dann wenn es gerade nichts zu verbessern gibt.

Why do we continuously look for saviours and heroes to lead us? (Ricardo Semler)

Das ist die wahre Stärke der Demokratie: auch einfach mal nichts zu tun, und die Weisheit der Masse respektieren. Wenn die Hälfte dafür und die Hälfte dagegen ist, gibt es dafür wahrscheinlich einen guten Grund. Dann sind die Folgen nicht absehbar, die Vorteile nicht greifbar genug. Dann tut man eben lieber nichts. Es bringt im Endeffekt nichts, wenn wichtige Entscheidungen getroffen werden, ohne dass die meisten Betroffenen sich damit identifizieren können. Das gilt in der Firma genauso: will ich wirklich ein Produkt verkaufen, von dem ich nicht mal meine eigene Belegschaft überzeugen kann?

Wie gesagt: das Buch hat mich zum Nachdenken gebracht. Wir leben zwar formal in einer Demokratie, aber ich glaube wir haben noch alle viel zu lernen, was das wirklich bedeutet.

Montag, 19. Juli 2010

Wahnsinn mit Methode

Wer mich privat kennt, weiß auch dass ich gerne und regelmäßig über die Arbeit lästere. Ich schimpfe viel darüber, was alles schief geht, und wie unkoordiniert das oft läuft, und wie rückständig wir technologisch und organisatorisch sind…

Aber mittlerweile glaube ich, ich brauche das. Irgendwie fasziniert mich dieses Chaos. Es ist wie ein riesiger Bienenstock: niemand weiß warum, aber alles greift irgendwie ineinander und funktioniert. Selten harmonisch, und es geht regelmäßig viel zu Bruch, aber es geht immer voran.

Ich habe schon öfters gescherzt: wenn man aus Fehlern wirklich lernt, dann ist mein Kopf bald voll.
Und es ist wirklich was dran: wir können regelmäßig auf die Schnauze fliegen, ohne dass es der Firma das Genick bricht. Es tut jedes mal weh, aber es tötet nicht. Und irgendwann ist die Wut so groß, dass man sich vornimmt es selber besser zu machen.

Ich hab in den letzten Jahren viel Arbeit darin gesteckt dass wir uns flexibler machen, dass unvorhergesehene Ereignisse uns nicht mehr einige Wochen, sondern eher ein paar Tage aus der Bahn werfen. Möglichst wenig Verwaltung, möglichst wartungsarme Tools und Verfahren. Code, der im Zweifel schnell und einfach ausgebessert werden kann, und möglichst selbsterklärend ist. Risikomanagement eben. Wir versuchen, das Unplanbare zu planen, und werden tatsächlich Stück für Stück besser darin. Und es zahlt sich tatsächlich aus.

Software ist sowieso spannend. Wohl in nahezu jedem anderen Beruf kommt man mit Anstrengung und Arbeit dem Ziel automatisch näher. Ein Hausbau mag sich um ein paar Monate verzögern, aber früher oder später wird man fertig. Bei Software ist das anders: nicht wenige Projekte scheitern in der Endphase. Planungsfehler lassen sich nur mit Gehirnschmalz, aber nicht mit Muskelkraft ausgleichen. Deshalb ist es immer möglich, dass ein kleines Team viel schneller und viel besser vorwärts kommt als ein großes.

Diese Spur von kreativem Wahnsinn, dass man als einzelner Mensch tatsächlich etwas erreichen kann woran sich Generationen vorher die Zähne ausgebissen haben… das fasziniert und begeistert mich. Deshalb ist das Chaos auf Arbeit für mich nicht negativ, sondern eher wie eine Spielwiese.

Samstag, 26. Juni 2010

Der schmale Grat

Mir ist gerade eine… naja, ernüchternde Erkenntnis zum Thema Freundschaft gekommen.
Es gibt da eine Frau, die ich unheimlich gerne mag. Ich verbringe mit ihr teilweise viel Zeit, ich habe sie die letzten eineinhalb Jahre fast jede Woche gesehen. Wir haben uns vieles erzählt, auch intime Details. Wir haben über unsere geheimen Fantasien und Ängste geredet… über eben nahezu alles.
Seit einem halben Jahr wird das weniger und weniger. Unsere Gespräche wurden immer “normaler”, wir verbringen mittlerweile die meiste Zeit so, wie eben normale Freunde auch: ins Kino gehen, ein Bier trinken, miteinander quatschen…

Tja, und genau da liegt das Problem. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin (und das habe ich heute zum ersten mal laut ausgesprochen), war für mich die Freundschaft an sich nie etwas besonderes. Es ist eine sehr gute Freundschaft, aber mehr eben nicht.

Das was besonders ist, ist eigentlich dieses Spannungsfeld zwischen Anziehung und Abstand halten, dieses sich so nah aneinander ranlassen dass es weh tun kann, und dann diesen Abstand – mit Würde und Respekt – halten.

Ich persönlich finde das unheimlich spannend, weil es mir Perspektiven eröffnet die normale Freundschaften einem einfach nicht bieten können. Ich kann so meine eigenen Gefühle ausloten, ohne gleich eine Beziehung zu riskieren, und kann das bei einem Menschen tun dem ich vertraue. Ich persönlich finde das auch irgendwo konsequent, denn warum sollte eine Freundschaft zwischen Mann und Frau genau den selben Regeln folgen wie eine Männerfreundschaft? Warum ignorieren, dass man nun mal unterschiedlich ist?

Auf der anderen Seite ist es ein Drahtseilakt. Beide Seiten müssen sich dafür ungeheuer verletzlich machen. Außerdem braucht es eine gewisse Neugier und Anziehung. Nicht unbedingt Liebe, aber zumindest ein gewisses Interesse.

Mir persönlich gibt das ungeheuer viel. Es gibt eben keinen anderen Menschen, mit dem ich so eine emotionale Achterbahnfahrt machen könnte. Ich bin mir nicht mal sicher, ob das in einer Beziehung so funktionieren würde.

Leider sieht sie das offenbar anders: was sie sich wünscht, ist Stabilität und Normalität. Natürlich irgendwo nachvollziehbar: was passiert, wenn es irgendwann mal außer Kontrolle gerät? Wenn ich mich in sie verliebe? Was, wenn sie jemanden kennenlernt?

Das ist leider nicht das erste mal, dass mir das passiert. Was natürlich bei mir die Frage auslöst: liegt es an mir? Stelle ich einfach unrealistisch hohe Erwartungen? Ist mein Verständnis von Freundschaft gestört? Unterschätze ich das Risiko? Gibt es auch nur eine Frau da draußen, die versteht was ich meine?

Sonntag, 30. Mai 2010

Das digitale Dorf

So über die Jahre hinweg habe ich immer wieder mal versucht, übers Internet neue Menschen kennenzulernen: über Foren, Chats, Dating Portale…

Ich habe dabei auch so einige wirklich spannende Menschen kennengelernt, aber trotzdem bin ich damit nicht so ganz zufrieden. Denn die Lücke zwischen virtuellem Raum und Realität ist immer noch ziemlich groß…

Wie sieht der Alltag aus? Normalerweise ist man von Kollegen umgeben, Stammtischen, Sportvereinen, dem eigenen Freundeskreis… mit diesen Menschen kann ich mich – wenn ich will – auch in die eigene Küche stellen und was kochen. Bei Internetbekanntschaften lernt man schnell Menschen kennen, die aber über die ganze Welt verstreut sind. Selbst Menschen die nur ein paar hundert Kilometer entfernt sind, sind damit irgendwie kaum noch “real”, nicht mehr Bestandteil des eigenen Alltags.

Früher hat man vom “Globalen Dorf” gesprochen – das Internet schrumpft die Welt auf Dorfgröße zurecht. In der Realität sind wir immer noch alle furchtbar weit voneinander weg. Mehr noch: das Internet hat nicht dazu geführt, dass ich die Menschen besser kenne, die tatsächlich in meiner Umgebung leben.

Ich glaube, dass sich das gerade so langsam aber sicher wandelt. So nach und nach entwickeln sich Sozialstrukturen im Internet, die immer tiefer örtlich verwurzelt sind. Flashmobs sind ein eindrucksvolles Beispiel dafür, was man in einer Stadt auf die Beine stellen kann, wenn die Idee nur ausreichend gut ist.

Selbst der Eurovision Songcontest bedient sich mittlerweile solcher Dance-Flashmobs (wenn auch die heute abend vorher inszeniert waren – was dem Sinn eines Flashmobs irgendwie zuwider läuft), die ersten politischen Parteien und Lobbies entdecken das Internet als Organisationsort.

Irgendjemand hat mal nachgerechnet, wie schnell sich Informationen über Facebook verbreiten. Ergebnis: schneller als über jede Nachrichtenseite, sogar schneller als über die Suchmaschine. Der digitale Flurfunk sorgt dafür, dass Informationen vor allem da fließen wo Menschen sich tatsächlich kennen.

Ich habe noch keine Ahnung, wo konkret das hinlaufen wird. Aber ich bin mir sicher: sobald Facebook irgendwie aufs Handy kommt und dort GPS integriert, könnte das einige spannende Konsequenzen haben. Da könnten Informationen reintrudeln so à la: “vorne um die Ecke sind übrigens Menschen, die die selben Interessen haben wie du”

Mir fehlt ehrlich gesagt die Fantasie, um mir vorzustellen wie das konkret ablaufen könnte. Aber die kleinen Veränderungen die wir gerade erleben, haben das Potential, unseren Bezug zu der Stadt in der wir leben grundlegend zu verändern.

Freitag, 14. Mai 2010

Augen im Dunkeln

Ich komme gerade von einem kleinen Konzert (“Katzenjammer”), sehr zu empfehlen. Wir waren mit ein paar Leuten da die mein Kollege flüchtig kennt. Ich steh also da vor der Bühne und genieße die Musik – leider nicht ganz störungsfrei. Einige sind stark alkoholisiert, andere rufen öfters dazwischen, andere wiederum versuchen gerade zwanghaft die Aufmerksamkeit der umstehenden Leute auf sich zu ziehen…

Ich ließ mal kurz die Augen schweifen, ob noch mehr so Chaoten im Raum sind. Offenbar nicht, aber als ich in die vielen Augen links und rechts neben mir sah, hatte ich ein merkwürdiges Gefühl… manche Augenpaare kamen mir unheimlich vertraut vor, andere wiederum wirkten so fremd, als wäre da gar nichts.

Ich habe das Konzert über darüber gegrübelt warum das so ist, und ich denke es hat etwas damit zu tun, worauf die Menschen geschaut haben. Die meisten haben einfach ihre Augen ganz allgemein nach vorne gerichtet: hin zum Licht, und zur Musik. Ihre Augen sind entspannt, weil sie sich von der Welle tragen lassen, und völlig darin aufgehen.

Dann gibt es diejenigen, die der Musik den Rücken zudrehen, und zu ihren Freunden schauen – oder hin zu Leuten deren Aufmerksamkeit sie offenbar haben wollen.
Dann sind da noch diejenigen, die offenbar gerade ihre eigenen Probleme haben, und mit ihrem Kopf eigentlich weit weg sind.

Und dann sind da noch diejenigen, die etwas sehr spezielles suchen. Die einen sehr bestimmten Punkt fokussieren: eins des Musikinstrumente, einen der Sänger, oder einen beliebigen Gegenstand oder Person in diesem Raum. Es ist ein hochkonzentrierter Blick, geradezu anstrengend – als ob sie nicht nur beobachten würden, sondern dem Ziel geradezu seine Geheimnisse entreißen wollen. Als wäre gerade dieses einzelne Objekt das wertvollste und bedeutendste des ganzen Raumes. Sie schauen nicht AUF etwas, sondern in es HINEIN.

Samstag, 24. April 2010

Das Foto

Heute wollte ich eigentlich feierlich das Foto aus meiner Brieftasche nehmen, und verbrennen. Eigentlich ist das lange überfällig…

Ich hatte mich vor zwei Jahren in eine Frau verschossen. Das alles lief gerade mal eine gute Woche, und ich muss immer noch darüber lachen, wenn ich bedenke wie kopflos das alles war. Uns war beiden irgendwie von Anfang an klar dass das nicht funktionieren könnte, und trotzdem war das einer dieser Fehler, die man einfach gerne tut. Wir haben alles gemacht was frisch Verliebte eben so machen: spazieren gehen, wildes Geknutsche und Gefummel, Bilder tauschen damit wir einander immer in der Brieftasche haben…

Sie hat mein Bild mir damals direkt zurückgeschickt. Da ich aber nichts von ihr hatte, nichtmal ihre Postadresse, konnte ich ihr Bild ihr nicht wiedergeben. Ich hatte schon früh den Gedanken es einfach wegzuwerfen, aber habe mir dann gedacht: wozu? Ich hege ja keinen Groll gegen sie, ich muss und will nicht diese Erinnerung zwanghaft aus meinem Gedächtnis streichen.

Ich dachte, heute wäre es endlich mal Zeit mich von dem Bild zu trennen. Ich wollte es feierlich verbrennen, und dann dazu hier darüber schreiben, wie wichtig es ist auch alte Erinnerungen hinter sich zu lassen. Aber wenn ich ehrlich zu mir bin: das Foto bedeutet mir etwas. Nicht die Frau darauf, die hatte ich schnell vergessen. Aber es war der Anfang von etwas, was auch heute noch nicht abgeschlossen ist. Ich bin heute ein anderer Mensch als vor zwei Jahren – glücklicher, zufriedener, selbstbewusster.

Das hat natürlich auch damit zu tun, dass mir in letzter Zeit andere gute Dinge passiert sind. Aber wären mir diese auch mit meinem alten Ich passiert?

Auf jeden Fall möchte ich diese Erinnerungen noch nicht loslassen. Nicht solange sie noch so sehr auf mein aktuelles Leben reflektieren. Sobald sich das ändert, wird das Foto einfach in irgendeiner Schublade verschwinden, und in fünf Jahren werde ich nichtmal mehr wissen wen das Bild eigentlich zeigt.

Samstag, 10. April 2010

Hygienisch rein

Eigentlich wollte ich einen Beitrag über Ernährung schreiben. Seitdem ich ein Buch über die Lebensmittelindustrie gelesen habe, bin ich zu dem Schluss gekommen dass ich wahrscheinlich zu viel Kohlehydrate und vorallem zu viel Fertigkost esse. Auch Jamie Oliver’s Food Revolution passt da einfach in die Zeit – viele Menschen haben offenbar das Bedürfnis, die eigene Gesundheit zu verbessern.

Das ist erstmal keine wirklich neue Erkenntnis. Jeder von uns weiß wohl, dass wir von einer wirklich guten, ausgewogenen Ernährung weit weg sind. Was ich interessanter finde, ist wie sich Fertigwaren in der Form überhaupt durchsetzen konnten. Kochen zu können war vor wenigen Jahrzehnten noch eine Selbstverständlichkeit – heute gilt es als Lifestyle, als etwas was man sich leistet wenn man sich was gutes tun will.

Ich habe da einen Verdacht. Zu Kochen ist etwas, wobei man sich die Hände schmutzig macht – wo man zwangsläufig mit dem in Berührung kommt was später im Magen landet. Selbst bei größter Sorgfalt bleibt bei der Zubereitung halt doch noch im Gemüse ein paar Reste der Erde hängen, oder Teile von Blättern und Stängeln die eher schwer verdaulich sind.

Ich glaube, viele Menschen ziehen Fertigwaren vor, weil sie sich dabei nicht die Hände schmutzig machen. Okay, das Essen hat dann zwar miese Nährwerte – aber wenigstens ist es hygienisch sauber.

Es gibt auch noch andere Beispiele dafür. Ich weiß z.B. von einer Freundin, dass kein Mädchen im Schulsport es sich heute noch leisten kann, nicht die Bikinizone zu rasieren. So weit sind wir schon gekommen, dass Körperbehaarung als unhygienisch gilt.

Ich habe den Verdacht, dass unsere Gesellschaft mehr und mehr zu einem völlig überzogenen Gefühl von Hygiene strebt, als wollte man die Existenz von allem Unreinen – Staub, Schmutz, Schweiß – ein für allemal aus der Welt schaffen. Über die Gründe kann ich nur spekulieren, aber es zeugt auf jeden Fall von keinem gesunden Verhältnis zum eigenen Körper.

Montag, 15. März 2010

Perspektive

Ich hatte vor ein paar Tagen ein spannendes Gespräch mit einem Freund über Erziehung, und mir sind da ein paar Gedanken gekommen die ich hier gerne festhalten möchte.

Es ist natürlich immer einfach, über die Jugend zu lästern. Schon Sokrates hat den moralischen Verfall der Jugend bemängelt. Aber irgendwas scheint trotzdem anders zu sein: vorherige Generationen haben aus Protest heraus die Autorität der Eltern in Frage gestellt. Das war immer ein Auflehnen, ein Reiben an bestehenden Regeln, um sich daran zu messen. Heute scheint es viele Jugendliche schlicht nicht mehr zu interessieren: wenn in der Schule einer Blödsinn treibt und vom Lehrer zurechtgewiesen wird, zuckt er mit den Schultern und sagt: “Na und? Ist doch egal.” Und was noch schlimmer ist: der Lehrer findet darauf keine passende Antwort.

Man kann das natürlich auf die Erziehung schieben, auf die unterbezahlten Lehrer, auf die Medien… aber meiner Meinung nach reicht das als Erklärung nicht. Eltern haben ihre Kinder schon lange vor der Existenz von Erziehungsratgebern großgezogen.

Mein Verdacht ist: diese Generation ist die erste (seit sehr langer Zeit) die in dem Bewusstsein aufwächst, dass egal wie sie sich anstrengt sie vermutlich nie das Lebensniveau ihrer Eltern toppen werden.

Bis zum Ende des kalten Krieges gab es immer einen moralischen Kompass an dem man sich orientieren konnte: sei gebildet, fleißig und ein guter Mensch, dann wird es dir besser gehen als der Konkurrenz.
Natürlich war das eine klischeebeladene Schwarz-Weiß Sicht die heute niemand wieder zurück will – aber sie hat Halt gegeben. Ähnlich wie Religion, die heute auch nicht mehr so recht als Autorität dienen kann.

Kinder und Teenager stehen heute vor einem Dilemma dass in den letzten 20 Jahren immer gravierender geworden ist: warum an sich selbst so hohe Maßstäbe anlegen, wenn das bereits den Eltern nicht geholfen hat?
Das Vertrauen in jegliche Autorität – seien es Eltern, Staat, Kollegen – ist schwer erschüttert.

Deshalb: vergesst Bologna und Pisa. Selbst wenn unsere Schulen unbegrenzte Geldmittel und Personal hätten, könnten sie den Kindern nicht das vermitteln was sie wirklich brauchen: Perspektive.
Wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs über Moral. Nicht, um den Zeigefinger zu heben und mit dem “früher war alles besser” Dampfhammer zu kommen, sondern um uns selber darüber bewusst zu werden, was wir eigentlich für unsere Gesellschaft wollen. Sobald wir das wissen, haben wir auch eine Chance von der nächsten Generation ernstgenommen zu werden.

Samstag, 20. Februar 2010

2020

Wir schreiben das Jahr 2010… ehrlich? Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich weder fliegende Autos noch Roboter die für mich die Einkäufe erledigen. Haben wir so vor zehn Jahren uns die Zukunft vorgestellt?

Offenbar ist das mit Zukunftsprognosen so eine Sache. Wir neigen dazu, uns die Zukunft als größer, schneller und einfach mehr vorzustellen als unsere Gegenwart. Ich dachte, ich versuche mich mal an meiner ganz eigenen Zukunftsprognose für das Jahr 2020.

Was werden wir die nächsten zehn Jahre zu sehen bekommen? Erstmal die offensichtlichen Trends: Biotechnologie – insbesondere Genetisches Engineering – wird eine ähnlich rasante Entwicklung nehmen wir vor 20 Jahren die Informatik. Es wird eine Weile dauern bis man versteht, wie tiefgreifend das sein wird. Das erste was wir wahrscheinlich sehen werden, sind organische Kraftstoffe, das nächste wird wohl die somatische Gentherapie sein – die auch schon heute erfolgreich eingesetzt wird.

Politisch sehe ich die größte Veränderung im Internet. So allmählich wird das Internet nicht nur als Werbeplattform genutzt, sondern aktiv von Lobbygruppen und politischen Parteien. Die Piraten und Online Petitionen sind nur das erste Anzeichen dafür, dass die öffentliche Meinung mehr und mehr im Internet diskutiert und geformt wird.

Was den Umweltschutz angeht: das Zwei Grad Ziel werden wir selbstverständlich verfehlen. Das ist schon heute unhaltbar.

Zur Wirtschaft: mein Eindruck ist, dass man die Trägheit von Wirtschaftssystemen gar nicht hoch genug einschätzen kann. Uns werden wohl auch in zehn Jahren immer noch die selben Probleme drücken wie heute: Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit, teure Rohstoffe, Energieknappheit, Erderwärmung, rechtliche Lücken… ich glaube, dass all das lösbar ist – aber nicht in den nächsten Jahren. Das wird mehr Zeit brauchen, bis sich die Lage wieder entspannt.

Wo wir gerade bei Dingen sind die sich nicht ändern werden: die großen Sprünge bei der Computerhardware sind vorbei. Die Zeiten, in denen sich jedes Jahr die Rechnerleistung verdoppelt, geht ihrem Ende zu. Wir werden im Bereich Software noch jede Menge Überraschungen überleben – aber in erster Linie, weil wir lernen werden besser unseren Computer zu nutzen, und nicht weil er stetig schneller wird.

Religion und Glauben: ich persönlich würde mir ja ein neues Zeitalter des Humanismus und ein starkes Selbstbewusstsein des Atheismus wünschen, aber das wird nicht passieren. Die modernen social Networks dienen in erster Linie als Katalysator: Menschen finden genau die Informationen, die sie in dem bestätigen was sie ohnehin schon glauben. Die Flut an Informationen macht es praktisch unmöglich, zwischen Realität und Fiktion noch zu unterscheiden – und im Endeffekt auch unwichtig. Wahr ist, was gefällt. Und bei all den Problemen in der Welt ist kaum noch Platz für komplexe Antworten.

Jetzt zu den weniger offensichtlichen Prognosen:
In zehn Jahren wird jeder Mensch Videospiele spielen. Und mit “jeder” meine ich: 80% oder mehr. Der Erfolg der Casual- und Social Games (siehe Farmville auf Facebook) ist gewaltig. Und damit werden sie zum wichtigsten Kulturmedium überhaupt werden – noch verbreiteter und bedeutender als Fernsehen und Bücher. Die meisten Menschen nehmen heute Spiele als Zeitvertreib wahr, und nicht etwa als Medium, was eine völlig neue Erzählform darstellt. Ein anderes junges Medium hatte das selbe Problem, und hat nach vielen Jahrzehnten es auch endlich zur Anerkennung geschafft – nämlich das Comic.

Noch eine Prognose: wir werden mehr ortsgebunden sein als heute. Es werden weniger Leute ein Auto haben, es werden immer mehr Menschen vom Land in die Stadt ziehen, wir werden seltener fliegen, und wir werden unseren Freundes- und Bekanntenkreis wieder mehr in unserer unmittelbaren Nähe haben. Paradox: Internet und Telefon haben die Welt zum globalen Dorf gemacht, aber echte Mobilität werden sich wohl immer weniger Menschen leisten können. Ich fürchte, dieser Trend ist durch die Energiekrise unausweichlich, zumindest mittelfristig.

Wir werden in Zukunft weniger in Stahl und Beton wohnen, als in Holz und Glas. Das ist billiger, gesünder und leichter zu klimatisieren. Wir werden vermutlich deutlich weniger arbeiten – zu geringerem Geld, versteht sich. 30 Stunden Woche ist ja heute schon im Gespräch. Wir werden wohl insbesondere in Deutschland immer weniger Fernsehen – zumindest das klassische Fernsehen ist am Sterben, die Enthusiasten werden vorwiegend Video on Demand nutzen.

Und natürlich wird irgendeine Kleinigkeit unser Leben grundlegend verändern, die sich momentan noch kein Mensch auch nur annähernd vorstellen kann – so wie das Handy.

Dienstag, 26. Januar 2010

Tanzen als Therapie

Letztes Jahr hat mich eine Kollegin gefragt ob ich mit ihr einen Tanzkurs machen möchte, und seit Anfang Januar gehen wir da jetzt jeden Montag hin.

Ich hab schon mal einen Tanzkurs gemacht – wie so viele mit 16, damals Anfänger- und Fortgeschrittenenkurs. Mir hat das auch damals eine Menge Spaß gemacht, aber irgendwie war ich zu schüchtern und zu unsicher um das alleine fortzuführen. Und wahrscheinlich hätte ich mich auch jetzt nicht aufraffen können, wenn ich nicht gefragt worden wäre.

Aber es war eine gute Entscheidung. Sogar eine sehr gute, je länger ich es mache. Denn während des Tanzens spüre ich etwas, was für mich leider ziemlich untypisch ist: Entspannung. Ich mag die Bewegung und das Ambiente – diese Harmonie die davon ausstrahlt. Dass es plötzlich so völlig harmlos ist sich gegenseitig im Arm zu haben, ohne irgendwelche Hintergedanken. Dass es so selbstverständlich ist, mit jemand Wildfremdes auf Tuchfühlung zu gehen, und ein wenig zu plaudern. Ich gehe das auch ganz entspannt an, ohne jeden Anspruch auf Perfektion. Ich bin einfach da um Spaß zu haben – wenn die Schritte dann noch sitzen, freue ich mich umso mehr.

So frei im Kopf bin ich eigentlich nie. Selbst mit Alkohol kriege ich mich allenfalls betäubt, aber nicht sorgenfrei – von den Nach- und Nebenwirkungen mal ganz abgesehen. Allenfalls joggen finde ich vergleichbar, nur ist es VIEL anstrengender, und im Endeffekt ist man halt allein unterwegs. Und vor allem gemessen daran wie aufgewühlt ich zur Zeit bin, waren die letzten Montage wie Balsam auf der Seele.

Natürlich löst Tanzen keine Probleme. Aber ich hab das Gefühl, dass Tanzen mir dabei hilft, loszulassen und Stress abzubauen. Und das ist doch schon mal ne ganze Menge.

Donnerstag, 7. Januar 2010

Black Out

Ich habe gestern nacht etwas erlebt, was mir in meinem gesamten Leben nur einige Male passiert ist… mein Bewusstsein hat sich komplett abgeschaltet.

Ich habe mit einer Freundin gestritten. Auf die näheren Umstände will ich nicht eingehen, aber es sind ein paar Sätze gefallen die mich unheimlich aufgewühlt haben. All die Gefühle – Liebe, Enttäuschung, Einsamkeit, Verzweiflung – kamen alle auf einen Schlag hoch, und ich war für mindestens eine Viertel Stunde komplett unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.

Es war wie ein Nebel, der langsam hochsteigt. Ich habe am Anfang noch gemerkt, wie es langsam in mir hochkocht, und ich habe versucht es herunterzudrücken. Aber dann merkte ich doch wie es “überschwappte”, was für einen kurzen Moment Panik sorgte, und dann waren alle Gedanken weg.

Es war einfach alles weg. Wir saßen zu zweit in diesem Raum, und ich fühlte alles mögliche… aber mir fehlten die Worte. Ich konnte nichts sagen und nichts denken. Ich konnte sie weder wegschicken, noch ihr erklären was gerade vorgeht. Ich war nichtmal fähig, mir selbst darüber klar zu werden was ich gerade fühle – erst rückblickend in der Erinnerung ist das klar.

Zum Glück bin ich anscheinend der Typ, der einfach zittrig und traurig auf der Couch hocken bleibt wenn er austickt. Ich kann mich an einige Momente erinnern wo ich das selbe Gefühl hatte – aber wohl noch nie so lange. Normalerweise war das nach ein paar Sekunden vorbei.

Es ist irgendwie eine beunruhigende, und zugleich interessante Erfahrung. Vorallem direkt danach war mir das furchtbar peinlich, ausgerechnet vor einer Freundin so meine Kontrolle zu verlieren.

Aber was wenn jemand austickt, der eben kein so introvertierter Nerd ist wie ich? Ich glaube, niemand kann verstehen wie jemand im Affekt handeln kann, der nicht diesen bizarren Zustand völliger Gedankenlosigkeit erlebt hat. Unser Bewusstsein ist wohl viel zerbrechlicher und anfälliger als man glauben könnte.