Montag, 15. März 2010

Perspektive

Ich hatte vor ein paar Tagen ein spannendes Gespräch mit einem Freund über Erziehung, und mir sind da ein paar Gedanken gekommen die ich hier gerne festhalten möchte.

Es ist natürlich immer einfach, über die Jugend zu lästern. Schon Sokrates hat den moralischen Verfall der Jugend bemängelt. Aber irgendwas scheint trotzdem anders zu sein: vorherige Generationen haben aus Protest heraus die Autorität der Eltern in Frage gestellt. Das war immer ein Auflehnen, ein Reiben an bestehenden Regeln, um sich daran zu messen. Heute scheint es viele Jugendliche schlicht nicht mehr zu interessieren: wenn in der Schule einer Blödsinn treibt und vom Lehrer zurechtgewiesen wird, zuckt er mit den Schultern und sagt: “Na und? Ist doch egal.” Und was noch schlimmer ist: der Lehrer findet darauf keine passende Antwort.

Man kann das natürlich auf die Erziehung schieben, auf die unterbezahlten Lehrer, auf die Medien… aber meiner Meinung nach reicht das als Erklärung nicht. Eltern haben ihre Kinder schon lange vor der Existenz von Erziehungsratgebern großgezogen.

Mein Verdacht ist: diese Generation ist die erste (seit sehr langer Zeit) die in dem Bewusstsein aufwächst, dass egal wie sie sich anstrengt sie vermutlich nie das Lebensniveau ihrer Eltern toppen werden.

Bis zum Ende des kalten Krieges gab es immer einen moralischen Kompass an dem man sich orientieren konnte: sei gebildet, fleißig und ein guter Mensch, dann wird es dir besser gehen als der Konkurrenz.
Natürlich war das eine klischeebeladene Schwarz-Weiß Sicht die heute niemand wieder zurück will – aber sie hat Halt gegeben. Ähnlich wie Religion, die heute auch nicht mehr so recht als Autorität dienen kann.

Kinder und Teenager stehen heute vor einem Dilemma dass in den letzten 20 Jahren immer gravierender geworden ist: warum an sich selbst so hohe Maßstäbe anlegen, wenn das bereits den Eltern nicht geholfen hat?
Das Vertrauen in jegliche Autorität – seien es Eltern, Staat, Kollegen – ist schwer erschüttert.

Deshalb: vergesst Bologna und Pisa. Selbst wenn unsere Schulen unbegrenzte Geldmittel und Personal hätten, könnten sie den Kindern nicht das vermitteln was sie wirklich brauchen: Perspektive.
Wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs über Moral. Nicht, um den Zeigefinger zu heben und mit dem “früher war alles besser” Dampfhammer zu kommen, sondern um uns selber darüber bewusst zu werden, was wir eigentlich für unsere Gesellschaft wollen. Sobald wir das wissen, haben wir auch eine Chance von der nächsten Generation ernstgenommen zu werden.