Sonntag, 26. September 2010

Die letzten Königreiche

Ich habe vor kurzem ein Buch gelesen namens “The Seven Day Weekend” von Ricardo Semler. Darin geht es vor allem viel um Personalführung, und warum mehr Freiheit für den Mitarbeiter sich auch für die Firma auszahlt… am spannendsten fand ich aber, wie dort Entscheidungen getroffen werden: nämlich ganz demokratisch. Das fängt schon damit an, dass Mitarbeiter ihren eigenen Chef per Abstimmung wählen, und regelmäßig beurteilen.

Why do we demand and go to war for democracy as nations, yet accept with docility that no one has the right to choose their own boss? (Ricardo Semler)

Mag natürlich sein, dass einiges in dem Buch übertrieben ist. Und selbst wenn nicht, dürften diese Grundsätze nur für sehr spezielle Firmen überhaupt machbar sein. Trotzdem: das Buch hat mich sehr zum Nachdenken angeregt. Eigentlich geht es dort mehr als nur um das Berufsleben – es geht darum, wozu Demokratie eigentlich da ist.

Es geht darum, Menschen zum Denken zu animieren. Wenn jeder sagt was er denkt, wird da regelmäßig viel Mist herauskommen, und in den wenigsten Fällen wird man zu einer Entscheidung kommen. Demokratien haben den Ruf, träge zu sein.

Aber was ist die Alternative? Einer sagt was gemacht wird, und die Untergebenen nicken und gehorchen. So kann man Entscheidungen schnell und unkompliziert umsetzen, aber zu welchem Preis? Unbequeme Meinungen enthalten auch immer ein Körnchen Wahrheit, und 1000 Menschen wissen gemeinsam einfach mehr als nur eine Hand voll – ganz besonders dann, wenn sie aus sehr unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten stammen.

Genau so funktionieren heute große Firmen oder Institute: Es gibt einen Geschäftsführer (der “König”), den Vorstand (seine “Grafen”), und darunter in absteigender Folge die Barone, Bürger und letztendlich das Fußvolk. Es gibt Firmen mit flachen Hierarchien, aber keine (zumindest mir bekannte) Geschäftsleitung versteht sich selbst als Repräsentation aller Mitarbeiter, sondern eben als dessen Führung. So gesehen sind die heutigen Großkonzerne die letzten großen Königreiche in Deutschland.

Das ist per se erstmal noch nicht schlecht. Das Problem ist, dass monolithische Strukturen dazu neigen, sich in Details zu verzetteln – weil die Spitze im Endeffekt alle Entscheidungen treffen muss. Und sie neigt dazu, um jeden Preis entscheiden und verändern zu müssen, selbst dann wenn es gerade nichts zu verbessern gibt.

Why do we continuously look for saviours and heroes to lead us? (Ricardo Semler)

Das ist die wahre Stärke der Demokratie: auch einfach mal nichts zu tun, und die Weisheit der Masse respektieren. Wenn die Hälfte dafür und die Hälfte dagegen ist, gibt es dafür wahrscheinlich einen guten Grund. Dann sind die Folgen nicht absehbar, die Vorteile nicht greifbar genug. Dann tut man eben lieber nichts. Es bringt im Endeffekt nichts, wenn wichtige Entscheidungen getroffen werden, ohne dass die meisten Betroffenen sich damit identifizieren können. Das gilt in der Firma genauso: will ich wirklich ein Produkt verkaufen, von dem ich nicht mal meine eigene Belegschaft überzeugen kann?

Wie gesagt: das Buch hat mich zum Nachdenken gebracht. Wir leben zwar formal in einer Demokratie, aber ich glaube wir haben noch alle viel zu lernen, was das wirklich bedeutet.